„Der Kampf wird lang sein…“

Schüsseltexte der 68er.

Gefragt nach meiner Politisierungsgeschichte, erinnere ich den Riss in meiner unschuldigen Wahrnehmung als Elfjährige, als ich in Zeitungen von der Erschießung Benno Ohnesorgs im Juli 1967 las.

Vielleicht ist es (auch) dies, dass mir die aktuell nachurteilenden Kommentare zu „68“, die entweder geschichtspolitisch von konservativ bis rechts oder selbstdenunziatorisch von postpolitisch bis links motiviert sind, schlicht als ungehörig erscheinen. Wer nur verurteilt, sollte den Balken im eigenen Auge entfernen und sich entweder persönlich erinnern oder als Nachgeborene/r historisch bilden, um wahrzunehmen, aus und in welcher Zeit das jeweils spezifische und gleichzeitig weltweite Aufbegehren denn entstand, und dass es viel zu oft mit dem eigenen Leben bezahlt wurde.

Es gibt einen wunderbaren Film von Chris Marker; „Le fond de l’air est rouge“ (1977), wo es um die politische Weltlage um 1967–70 geht und zu dem er sagte: „Geträumtes wird durch Wahrgenommenes ersetzt und schließlich fällt alles dem kollektiven Nicht-Erinnern anheim.“ In einem Seminar zu „Widerstand“ zeigte ich daraus Ausschnitte – und die Studierenden konnten damit kaum etwas anfangen: mit den Bildern vom Pariser Mai ’68, den us-amerikanischen Vietnambombern, den Reden von Che… Soviel zum kollektiven Nicht-Erinnern.

Eine jüngst erschienene Publikation versucht nun diesem Phänomen durch die Versammlung von Originaltexten aus den Protestbewegungen in Afrika, Asien, Ost- und Mitteleuropa, USA, West- und Südeuropa – die lange vor und bis zu dem Jahr ’68 entstanden und dies vorbereitet und beeinflusst haben – zu begegnen: theoretische Beiträge, programmatische Texte, Reden und Versammlungsbeschlüsse geben nicht nur die Hoffnung auf die Möglichkeit der Zerschlagung des (kapitalistischen) Imperialismus, sondern auch die Notwendigkeit von kritischem Bewusstsein und von kämpferischen Einsätzen wieder. So manche Aussagen könnten heute formuliert sein. Eine kleine Auswahl:

„Der Kampf um eine wirkliche Demokratie ist der Kampf gegen eine Ideologie der Toleranz, die in Wirklichkeit die Aufrechterhaltung des ungleichen und diskriminierenden Status quo begünstigt und stärkt.“ (Marcuse, 1965)

„Wir propagieren die Idee einer NEGATIVEN UNIVERSITÄT, die innerhalb der offiziellen Universität, aber in Widerspruch zu ihr, die Notwendigkeit eines theoretischen, kritischen und dialektischen Denkens begründet.“
(aus: Classe Operaia, 1964)

„Dieser Aufsatz stellt die Behauptung auf, dass die Unterentwicklung in Chile notwendiges Produkt einer vier Jahrhunderte währenden kapitalistischen Entwicklung selbst ist. Diese Widersprüche sind die Enteignung von wirtschaftlichem Surplus von vielen und seine Aneignung durch wenige, die Polarisierung des kapitalistischen Systems in Metropolenzentrum und periphere Satelliten.“ (Frank, 1968)

„Sie wollen, dass wir uns hier um eine Tasse Kaffee sorgen, während sie gleichzeitig drüben in unseren Mutterländern Bodenschätze klauen, die so wertvoll sind, dass die ganze Welt rotiert. Während du und ich hier herumgehen und nach ein bisschen Kaffee Ausschau halten – Kaffee und ein bisschen was zum Knabbern…“ (Malcolm X, 1964)

Die Lektüren (von u.a. Fanon, Enlai, Castro, Modzelewski, King, Meinhof, Dutschke, Negri) sind erfreulich unprätentiös durch die Herausgeberin eingeleitet sowie durch eine Übersicht (von M. Henninger) über die „StudentInnenunruhen, ArbeiterInnenkämpfe und antikolonialen Bewegungen der 1960er Jahre“ und ein aufschlussreiches Quellenverzeichnis abgerundet.

Angelika Ebbinghaus (Hg.): Die 68er. Schlüsseltexte der globalen Revolte. Promedia Verlag 2008


http://www.malmoe.org/artikel/erlebnispark/1694

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