“Die Linke braucht die Feministinnen”
Im feministischen Netzwerk der Europäischen Linken arbeiten Parteigängerinnen, selbstorganisierte Frauen und Wissenschafterinnen zusammen, um wieder gemeinsame Positionen zu entwickeln – Die Mitglieder Birge Krondorfer und Heidi Ambrosch im Interview
“Die Europäische Linke kann nicht so beginnen, dass wieder nur die Männer reden”: Aus dieser Erkenntnis und dem Anspruch, den Parteizusammenschluss von 30 linken europäischen Parteien mit feministischen Stimmen zu bereichen, entstand 2004 am Gründungsparteitag der Europäischen Linken (EL) das Netzwerk EL-FEM – ein Verbund von Feministinnen aus unterschiedlichen europäischen Ländern. In länderorganisierten Gruppen bringen sie sich seither in aktuelle Fragen der EL ein, verstehen sich aber auch als Thinktank für linksfeministische Fragen und neue Formen der politischen Organisation.Seit eineinhalb Jahren gibt es auch eine aktive Gruppe in Österreich, die im Frühling die internationale Konferenz “Wie feminstisch ist die Linke? Wie links ist der Feminismus?” in Wien organisierte. Vor den EU-Wahlen traf sich dieStandard.at mit den Gründungsmitgliedern Birge Krondorfer (Frauenhetz) und Heidi Ambrosch (KPÖ). Ein Gespräch über neue Allianzen unter Feministinnen jenseits der Zersplitterung, über neue Organisationsformen politischer Arbeit und das Problem der “Scheingleichheit”, in der Frauen vorgeblich bereits alles erreicht haben:
dieStandard.at: Wie kam es zur Gründung von EL-FEM Österreich?
Krondorfer: Mich als nicht-parteiorganisierte, aus der Tradition der autonomen Frauenbewegung kommende Feministin hat diese Form interessiert, weil es mit der Zersplitterung der Szene nicht mehr so weiter gehen kann. Ich dachte, der offene Netzwerk-Charakter der EL-FEM wäre doch ein Ansatz – wenn links-feministisch in Österreich schon nichts los ist (schmunzelt). Dann habe ich die KPÖ-Frauen angesprochen, die in der EL-FEM bereits involviert waren. Schließlich haben wir dann zu sechst die Gruppe gegründet. Die erste Aktion war die Organisation der Konferenz (”Wie feministisch ist die Linke?”), die im März stattgefunden hat. Zum Thema haben wir gefunden, weil uns das Verhältnis von links und feministisch unter den Nägeln brannte. Schließlich kamen dann Frauen aus sieben verschiedenen Ländern und viele Aktivistinnen aus Wien.
dieStandard.at: Ihre Ausgangssituation ist also die differenzierte feministische Szene und der Wunsch, diese politisch zu einen. Wo sehen Sie die größten Diskrepanzen, Widersprüche? Was hemmt denn an einer gemeinsamen politischen Aktivität?
Krondorfer: Damit beschäftige ich mich schon seit längerem, weil mich das so untröstlich macht, generell. Einerseits hat die Ausdifferenzierung innerhalb der Frauenbewegungen ja etwas Positives, aber sie hat auch den Nachteil, dass sich mit diesen Partikularismen die Frage des ‚Wirs’ so schwer noch stellen lässt. Die Debatte um Geschlechteridentität und -Normativität, diese Zäsur nicht mehr ‘Wir’ sagen zu können, weil es immer jemanden ausschließt, hemmt natürlich. Allerdings ist das ja in sich paradox, weil selbstredend schließt auch ein kleines partikuläres ‘Wir’ immer etwas aus. Und wenn dann gar nichts mehr zustande kommt ist man schlicht und ergreifend machtlos.
Die Konzentration auf die Problematisierung von Heteronormativität und der speziellen Situation der Migrantinnen haben dazu geführt, dass die Frage nach einer konkreten, alternativen linken Politik nicht mehr gestellt wurde in den letzten 15 Jahren. Es geht also auch um das Finden temporärer Allianzen.
Ich denke, dass diese Zersplitterung dem Neoliberalismus in die Hände spielt. Weil man a) machtlos ist und b) die neoliberalistische Individualisierung praktisch selber nachvollzieht. Das wird nicht zusammengedacht. Und dann fand ich Nancy Frasers Einwand ‚Frauen, denkt wieder ökonomisch’ auch sehr wichtig, also die Debatte Anerkennungspolitik vs. Identitätspolitik. Die Frage nach Reichtum und Armut, das Nord-Süd-Verhältnis wird bei diesen ganzen Identitätsfragen nicht mehr gestellt. Hier wollen wir ansetzen und das wieder mehr zusammen denken.
dieStandard.at: Haben Sie dazu im Rahmen Ihrer Konferenz Schritte erzielen können?
Ambrosch: Es war natürlich mal ein Beginn und es wird Arbeit brauchen, daraus etwas Nachhaltiges zu machen. Bei der Konferenz hat sich gezeigt, dass viele Österreicherinnen, die beim Kongress waren, den Wunsch haben, sich auch weiterhin einzubringen. Auf internationaler Ebene sind in nächster Zeit zwei konkrete Schritte geplant bzw. gemacht worden: Wir haben eine Resolution verfasst, um gegen die nicht quotierte EL-Liste in Deutschland zu protestieren. Dieser Rückschritt passierte, obwohl sich die EL in ihrem Programm ja klar als feministische Partei bekennt. In Griechenland haben die Frauen daraufhin tatsächlich eine quotierte Liste durchgesetzt. Insgesamt hat die Konferenz den Frauen jedenfalls Kraft gegeben, sich diesen Kämpfen erneut auszusetzen. Die Quoten-Frage ist freilich nur ein kleiner Punkt, aber ein wesentlicher struktureller, wie ich finde.
In den Debatten hat sich herauskristallisiert, dass die Frauen gerade jetzt zu Kapitalismus-Kritik aus feministischer Perspektive arbeiten wollen. Die von linken Männern artikulierte Kritik bezieht sich ja meist auf den (männlichen) Fabriksarbeiter. Bei den Strukturpaketen sieht man außerdem, dass sie nach männlichen Bedürfnissen ausgerichtet sind, die Auswirkungen der Krise auf die Frauenerwerbstätigkeit werden jedoch nirgends berücksichtigt. Das ist also der nächste Themenkomplex, den wir als feministisches Netzwerk behandeln wollen.
dieStandard.at: Inwieweit fließt Ihre Arbeit in Europäische Linke ein? Arbeiten Sie wie andere Gremien, die Beschlüsse fassen?
Krondorfer: Also, das ist ganz schwierig. Das Netzwerk trifft sich und setzt sich auseinander, aber es hat wenig institutionelle Macht in diesem ganzen Parteiengebilde. Bei Parteitagen reden 85 Prozent Männer, Ostparteien funktionieren anders wie Westparteien, es gibt ein Konglomerat an widersprüchlichen Zugängen und Machtkämpfen. Die feministische Perspektive steht zwar großartig auf dem Papier, aber von machtvoller Involviertheit kann keine Rede sein. Da gilt es noch viel tun.
Dazu braucht es auch die Auseinandersetzung von und mit selbstorganisierten Frauen, weil die ganz anders freigespielt sind von diesen parteiinternen Strukturen und eine andere Tradition haben. Das Außen-Innen eines Netzwerkes hat die Perspektive gegenseitig etwas voneinander zu lernen.
dieStandard.at: Ist das für Sie ein Anliegen, die Machtfrage innerhalb der EL?
Ambrosch: Ja, das ist sie natürlich. Ich bin ja in der KPÖ organisiert und für mich ist klar, wer heute glaubt, Perspektiven formulieren zu können ohne den Feminismus hat schon verloren, ist nicht links. So werden keine Antworten mehr gefunden. Da verweise ich nur auf die UNO-Frauenkonferenz-Zahlen: Frauen machen zwei Drittel der Arbeit, sie haben aber nur zehn Prozent der Einkommen und ein Prozent des Besitzes. Wer das nicht als globales Problem begreift und daraus Schlussfolgerungen zieht, der wird keine zukunftsweisenden Strategien entwickeln. Insofern bin ich überzeugt, dass die Linke die Feministinnen braucht. Ob sie es begreifen weiß ich nicht. Wir diskutieren natürlich auch strukturelle Fragen, die aber auch in sich gebrochen sind: die FranzösInnen mit ihrer starken Gewerkschaftstradition, die Linke in Deutschland mit Lafontaine an der Spitze – das ist sehr fragil. Wir haben die Chance als Frauen, fernab dieser Flügelkämpfe der Männer anders zusammen zu arbeiten. Das zeigt sich immer wieder, dass die Frauen hier anders agieren.
dieStandard.at: Diskussionen um Feminismus und Marxismus greisen oft um die Frage, wie es die Geschlechterfrage erreichen kann nicht der Klassenfrage untergeordnet zu werden. Was verstehen Sie im Jahr 2009 unter der „Geschlechterfrage”?
Ambrosch: Für mich ist der Angelpunkt der Geschlechterdiskriminierung die geschlechterhierarchische Arbeitsteilung, die den öffentlichen vom privaten abgetrennt hat. Im ersten werden Frauen vielfältig diskriminiert. Diese sind eng gekoppelt an den Umstand, dass die Reproduktionsarbeiten der Gesellschaft in den privaten Bereich abgeschoben wurden zu Lasten der Frauen. Das ist ein Kreislauf an Diskriminierung, der heute auf der Tagesordnung steht. Wir erleben heute die Durchlöcherung sämtlicher sozial- und arbeitsrechtlicher Errungenschaften, was diejenigen, die Unten stehen, noch viel mehr trifft. Andererseits die Zunahme der Care-Politiken, der Abbau des Sozialen, des Gemeinschaftlichen. Das wäre für mich die Schlüsselfrage nebst der Umverteilung und da geht’s mir nicht nur um eine von oben nach unten, sondern auch um eine Umverteilung zwischen den Geschlechtern.
dieStandard.at: Die Verteilung von unbezahlter und bezahlter Arbeit ist also weiterhin Hauptthema?
Ambrosch: Wobei diese Fragen heute ja ideologisch anders besetzt sind. Unter dem Fordismus ging es noch um das Ehemodell, was heute vollkommen aufgelöst ist. Wir haben heute ja angeblich schon vollständige Gleichstellung: Als Frau kannst du alles, was du willst. Unter neoliberalen Vorzeichen wurden Begriffe aus der Frauenbewegung wie ‘Selbstbestimmung’ und ‘Autonomie’ hergenommen und vollkommen gegen uns als Frauen gerichtet, also neu besetzt und gegen uns verwendet. Der ökonomische Kern ist die geschlechtshierarische Arbeitsteilung.
Krondorfer: Dem schließe ich mich an. Meine Studentinnen finden ja auch, dass es allen gut geht. Sobald man mit Zahlen kommt, Gehaltsunterschiede etc., dann sind alle doch wieder irritiert. Die rhetorische Modernisierung, dieser Gleichheitsdiskurs, ist ein Problem, weil Gleichstellung ja nicht stattfand. Diese Scheingleichheit muss wieder mehr beleuchtet werden.
Wir vergessen außerdem, dass wir wie die Maden im Speck leben in Westeuropa: Wir müssen begreifen, dass wir hier alle hochnotpeinlich in einer Ausbeutergesellschaft leben bezogen auf den sogenannten Rest der Welt. Das ist eine grundsätzliche ethische Frage. Wir verstehen uns als Appell an alle linken Alternativen, ihre Binnenkonflikte beizulegen, in denen es doch meist nur um Narzissmus und die Erhaltung der eigenen Position geht. Diesen großen selbstkritischen Blick sollten wir wieder kriegen. Die globale Perspektive auf Reich-Arm ist für mich auch eine der vergessenen Dimensionen des Feminismus.
dieStandard.at: Gibt’s Unterschiede bei den Schwerpunkten in den einzelnen Ländern?
Ambrosch: Die Auswirkung der Prekarisierung der Lebensverhältnisse zieht sich durch alle Länder. Natürlich gibt es auch Auseinandersetzung, aber die sind nicht nationaler sondern inhaltlicher Natur: Bei der Anerkennung von Sexarbeit etwa gibt es gröbere Unterschiede. Es ist aber bearbeitbar und diskutierbar.
dieStandard.at: Welche Möglichkeiten des feministischen Engagements gibt es in Europa und sehen Sie einen Trend dazu, dass unabhängige Feministinnen sich wieder der Parteiarbeit widmen?
Ambrosch: In Deutschland gibt’s LISA, das ist die allgemeine feministische linke Organisation. Sie hatte ihre Wurzeln in der PDS, wobei LISAs Einfluss nach dem Zusammenschluss leider geringer wurde. Frigga Haug ist am Kämpfen (lacht). Sie ist seit einem Jahr Parteimitglied und versucht mit all ihrer Kraft, dem Programmprozess mit feministischen Positionen zu bereichern.
Aber die Teilnahme von Frigga Haug ist eher eine Einzelerscheinung. Frauen wie Birge kommen mehr zum Austausch, das ja. Die Neuzugänge bei den Mitgliedschaften sind aber in erster Linie Männer, unter 20 Prozent Frauenanteil bei den Neuzugängen. In jungen Feministinnen in Österreich denken auch überhaupt nicht an Organisierung in einer Partei. Die Frage ist also auch, ob es nicht ganz neue Organisierungsformen braucht.
dieStandard.at: Für unabhängige Feministinnen ist der Netzwerk-Charakter der EL-FEM aber gerade auch das attraktive, oder?
Krondorfer: Die Frage nach der Organisierung von politischer Arbeit, jenseits der Parteisphäre, aber auch nicht ohne sie, halte ich für einen der wesentlichen Punkte für die Zukunft generell. Die vielfältigen Anliegen in Bezug auf Geschlecht, Sexualität, Rassismus, Migration müssen so organisiert werden, dass eine nicht-hierarchisierte Partizipation möglich wird.
Wir müssen also Organsiationsformen finden, die gleichzeitig offen und geschlossen sind. Geschlossen im Sinne von Verbindlichkeit und offen im Sinne von Verträglichkeit der Verschiedenen. Vor allem muss man die Menschen auch davon überzeugen, dass Strukturfragen Inhaltsfragen sind. Sonst laufen wir allgemein Gefahr im System steckenzubleiben. (Die Fragen stellte Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 1.6.2009)
Wissen:
Die Europäische Linke (EL) ist ein Zusammenschluss von 30 europäischen Linksparteien, die sich 2004 zusammengefunden haben. Im Europäischen Parlament sind sie in der Fraktion “Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke” mit derzeit 41 Abgeordneten vertreten. In Österreich ist ausschließlich die KPÖ Mitglied der Europäischen Linken.
Kontakt zu EL-FEM(A)
http://diestandard.at/fs/1242317141866/Nachlese-Die-Linke-braucht-die-Feministinnen