Feministische Politiken in Europa – mit Links?

Die Geschlechter sind „egal“ geworden, deren Arbeitsteilung den geschichtlichen Erfolg des Kapitalismus in Europa und in den USA für sich verbuchen kann. Seine Globalisierung heißt für Frauen, dass sie zwei Drittel der Weltarbeit verrichten, während sie nur ein Zehntel des männlichen Einkommens erhalten: Würden die Frauen die Rechnung für ihre Leistung präsentieren, ginge die Welt bankrott. (Gerburg Treusch-Dieter)

Im Verdikt aufs Ganze gehender Kritiken, die bedenkenlos eines Fundamentalismus bzw. mangelnder Einsicht in die Sachzwänge bezichtigt werden, spiegelt sich eine hyperkapitalistische Mentalität, die sich nicht in Kategorien einer politischen Ökonomie reflektiert. Dem entsprechen die proklamierte Alternativlosigkeit zu einem universell gewordenen System und das Verwerfen von wirksamen Handlungsoptionen. Auch lässt das hegemoniale Paradigma der effizienten Ökonomisierung der inneren und äußeren Lebensbedingungen niemanden aus, auch uns nicht. Leben wir doch in der Wohlstandszone dieser Welt, in der sich leicht beim Kaffee Latte über die eigene Prekarisierung jammern und über das Unglück der anderen plaudern lässt. „Die Teleologie der Linken, die einzige, die uns interessiert – zu Recht oder zu Unrecht –, mag viel von sich reden machen …; trotzdem, niemand lebt nach ihren Werten und wahrscheinlich ist niemand bereit, deswegen seine realen Lebensverhältnisse aufzugeben.“ (Lyotard 1977)

Doch auch als selbst/kritische SysteminsassInnen sind wir in einem wachsenden Zustand der Ratlosigkeit gefangen. Es ist wie mit der Geschichte von Hase und Igel: Eine jegliche theoretische oder praktische Hinterfragung des Systems wird von eben diesem geschwind beantwortet mit „Ich bin schon da“. Im Folgenden wird eine „Erinnerung nach vorn“ (Frigga Haug) skizziert, Fäden an losen Enden aufgreifend.

Faden 1

In der Autonomen Frauenbewegung tätig zu sein, bedeutete, keiner Partei beizutreten, gerierte diese sich noch so links und fortschrittlich. Partei jeglicher Couleur, das hieß strukturelle und damit inhaltliche Männerdominanz und die Verleugnung dieser Tatsache durch die Gleichsetzung von Mann mit Mensch sowie die damit einhergehende Annahme, dass „Geschlecht“ „egal“ sei. Um es sehr vereinfacht zu sagen: Der Kampf gegen das Patriarchat stand für uns im Vordergrund, weil es der Hintergrund des Kapitalismus und des Imperialismus ist. Es gab unzählbare Dispute zwischen Links- und „Radikal“feministinnen, letztlich führten sie zu theoretischer wie praktisch-politischer Abgrenzung: Für die einen war „nur“ Frauen zu wenig, den anderen waren die Genossen nicht genießbar. Gleichwohl war evident, dass „eine Feministin, ob sie sich als links bezeichnet oder nicht, per definitionem eine Linke [ist]. … [In] einer Gesellschaft, in der die Erfahrungen jeder einzelnen Person genauso viel wert sind wie diejenigen jeder anderen, gibt es automatisch Gleichberechtigung, d.h. wirtschaftliche, politische Gleichberechtigung und vieles mehr. Also: Geschlechterkampf bedeutet gleichzeitig Klassenkampf, Klassenkampf bedeutet dagegen nicht automatisch Geschlechterkampf. Deshalb sind Feministinnen echte Linke.“ (de Beauvoir 1976)

Faden 2

Mein neuerdings – vor dem geisterbahnhaften Wahlausgang und den einstürzenden Neolibbauten samt ihrer gespenstischen Metaphysik – entflammtes Interesse an konkreten linken Kontexten, das auch die Linksparteienberührungen nicht mehr scheut, hat mit politischer Sinn- und Handlungsfindung zu tun. Zwar sind die meisten mir bekannten Menschen gefühlt links und das Entsetzen über die politische Lage in diesem Land ist verbreitet. Doch müsste von einer a-politischen Situation gesprochen werden: „Eine Regierung ist dazu da, die Kunst des Regierens auszuüben. Was aber ist der Fall. [...] Regieren wird in ein unerbittliches Ordnung Schaffen verwandelt. Die vorgestellte Ordnung wiederum orientiert sich einer nationalstaatlichen Nostalgie entlang, die … funktioniert über die Erfindung von Feinden. [...] Wie in allen Bewegungen des Neoliberalen wird der abstrakte Feindbegriff in Personalisierung umgewandelt. Ausländer ist der Begriff, der diese Personalisierung leistet … [...] Für uns selber lernen wir, dass den Regierenden nicht das Regieren wichtig ist, sondern der Machterhalt. Wir werden uns das eine Lehre sein lassen müssen. Nach Foucault geht es darum, dass zu viel regiert wird. Bei uns kommt es gar nicht so weit. Es wird die staatliche Gewalt mehr ausgeübt, als gestaltet. Zu Demokratie kommt es da selten und höchstens zufällig.“ (M. Streeruwitz, 9.10.2007 in Wien auf einer Demonstration gegen die Bleiberechtsbestimmungen; zit. nach Krondorfer et al 2008). Um eine dieser Zufälligkeit entgegen tretende – nicht nur ästhetisch/abstrakte – Positionierung muss es in diesem Land gehen. Nicht nur in Assoziation zu radikaldemokratischen Theorien, wo Politik als Austragung von Antagonismen erörtert wird. Von letzteren kann in einer proporzorientierten Pseudodemokratie nicht die Rede sein, deren Demokratie(miss)verständnis darin besteht, mit rassistischen rechten Recken nicht nur handzushaken. Da ist es dann zur Selbstrepräsentation der Rechten als einzig verbliebene radikale Restgröße nicht weit. „Für uns selber lernen wir“, dass die Tauglichkeit der Rechten als Projektionsfläche für diesen Rest funktioniert; und offenbar ja gerade bei Jungwählenden. In Gesprächen über das Wahlverhalten war eine Conclusio, dass die hier fehlende allgemeine und politische Bildung zumindest Co-Ursache dieser Verhältnisse ist. Vor allem aber gilt: Ein praktizierendes und in der allgemeinen Öffentlichkeit relevantes Gegenüber existiert hier nicht.

Faden 3

Enttäuscht von der Entwicklung der Frauenbewegungen und ihrer Theoreme hin zu Verstaatlichung auf der einen und Identitäts„aufgaben“ auf der anderen Seite, irritiert über das Fehlen von Kapitalismuskritik seitens der KulturistInnen (Wortschöpfung für jene, die das Feld der Kultur/Kunst für das Politische selbst halten), perplex über ähnliche Phänomene auch bei kritischen MigrantInnen, erschöpft von 100tausend Sitzungen/Setzungen und deren Leerlauf im „Weltgeschehen“, verstört über die zunehmende Unvereinbarkeit von „Denkenden“ und „Handelnden“ – stellt sich bange die ernste Frage: Was wären angemessene Reflexionen in der Verknüpfung mit dem Wie eines adäquaten Handelns?

Faden 4

Analog zu einem Marx’schen Bonmot –„Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme“ –, ließe sich jetzt sagen: Jeder Schritt wirklicher Bewegung wäre wichtiger als 17 Dutzend Theorien. Programmatische Programme sind ja irgendwie out, dennoch hat ein neu erwachtes Interesse an Marxismen Konjunktur. Ob zu recht oder zu links bleibe hier offen. Und dass Poststrukturalismen im Grunde Postmarxismen darstellen, ist nur teilweise bewusst. Mich verwundert u.a., dass bestimmte Begriffe wie „Entfremdung“ verschollen sind und andere wie „Partizipation“ dafür en vogue wurden, haben doch beide in einer Art negativer Dialektik eine Entsprechung. Nichts Entsprechendes hingegen finden hierzulande die unterschiedlichen mentalen und aktiven linken Szenerien. Nicht nur herrscht ein Antikommunismus vor, der von rechts über mainstream bis radical chic sich gewaschen hat, sondern es werden auch diese oder jene Initiativen dieser oder jener Gruppierung von diesen oder jenen anderen Trüppchen ignoriert bzw. für minderbemittelt gehalten. Das führt schlicht gesagt zu gar nichts – außer zur Selbstbestätigung – und erinnert an die unsäglichen Binnenkämpfe von damals zwischen Trotzkisten, Maoisten etc. bum bum – unter anderen Labels. Die verschiedenen post/feministischen Szenen sind da nicht ausgenommen. Aber es geht auch anders: Verwundert nehme ich zur Kenntnis, dass z.B. in Portugal der Left Bloc sich konstituiert hat, eine Vereinigung von divergierenden linksorientierten Parteien, Gruppen und autonomen (auch feministischen) Projekten. Diese hat 12% bei den letzten Wahlen erhalten. Ähnliches, als Struktur, gilt für den linken Zusammenschluss Synaspismos in Griechenland.

Faden 5

Es mag als Flucht nach vorne erscheinen. Da auf nationalem Terrain die Aussicht auf feministisch/linke nicht nur Ansichten, sondern auch Aussichten recht verstellt ist, gilt m/ein Inter-Esse in actu auch einer internationalen linken Perspektive. Die Europäische Linkspartei (EL) hat einen Hauch möglicher Wirksamkeit und es ist spannungsvoll bei Meetings auf unterschiedlichste RepräsentantInnen zu treffen. Seit 2004 haben sich 19 Mitglieds- und 11 Beobachterparteien aus 23 Ländern zusammengeschlossen, deren PartizipantInnen je nach Durchsetzungsvermögen sich 2009 zum ersten Mal mit einer gemeinsamen Wahlplattform den EU-Wahlen stellen. Aus Österreich wird wohl keine/r dabei sein. Doch sind nationale Beschränktheiten kein Hindernis für feministisch-politische Agenden. Das feministische Netzwerk der EL schreibt im Gründungsmanifest: „EL-FEM steht allen Frauen der EL-Parteien und allen Frauenbewegungen und Vereinigungen, die Teil der sozialen Bewegungen sind, offen.“ Der Austausch zwischen Ost/West/Süd/Nord wäre eine Chance zu etwas noch unbestimmten Dritten, das Postdemokratie und Postsozialismus transzendiert. Vielleicht … die Frauen …

Faden 6

„Frauen aus der Rechten wollen keine Revolution. [...] [Wenn] sie sich überhaupt für etwas einsetzen, dann nur, um ein größeres Stück vom Kuchen abzubekommen. Sie wollen mehr verdienen, mehr Frauen ins Parlament wählen oder eine Frau als Staatspräsidentin sehen. [...] sie bevorzugen ganz oben, statt unten auf der Gesellschaftsleiter zu stehen. [...] Der Kapitalismus ist intelligent genug, Frauen an der Regierung teilhaben zu lassen. Der Pseudosozialismus kann einer Frau sicher auch erlauben, Generalsekretärin der Partei zu werden. All das sind nur Reformen.“ (de Beauvoir 1976).

So betrachtet ist der Großteil heutiger Frauenpolitiken von rechts über mittig bis links „rechts“. Eine alternative Politik bedürfte der Re-Radikalisierung eines Feminismus, der die Transformation der Institutionen und damit die Überwindung jedes Minoritätsverhältnisses im Auge hat. Jenseits der Grabenkrämpfe zwischen neuen und alten und sonstigen Feminismen ist die Dringlichkeit angesagt, die Fixierung auf die Ökonomie der nach wie vor vom männlichen Logos dominierten linken Organisationen aufzubrechen sowie auf der anderen Seite marxistisches Gedankengut als Kritik der Produktion der (Geschlechter)Verhältnisse zu reaktualisieren. Im März 09 wird eine EL-FEM-Konferenz in Wien zu Wie feministisch ist die Linke – wie links ist der Feminismus? Irritationen, Analysen, Kooperationen stattfinden.

Literatur:
Lyotard, Jean Francois (1977): „Das Patchwork der Minderheiten. Für eine herrenlose Politik“. Reihe: Internationale Marxistische Diskussion 69: Berlin: Merve, S. 40

Krondorfer, Birge: Egalität der Geschlechter. Feminism Reloaded, in: transform! Europäische Zeitschrift für kritisches Denken und politischen Dialog, 02/2008

de Beauvoir, Simone (1976): Das andere Geschlecht – 25 Jahre danach. Ein Interview in Society, 1976; aus: Hervé, Florence, Höltschl, Rainer (Hg.) (2003): absolute Simone de Beauvoir. Originaltexte, Interview und Biografie. Freiburg: orange press, S.11

Birge Krondorfer et al (Hg.) (2008): Frauen und Politik. Nachrichten aus Demokratien. Wien: Promedia

Links / Informationen:
Europäische Linke EL
EL-FEM-Konferenz in Wien: Infos via Bärbel Mende-Danneberg Link Email

Birge Krondorfer (Wien) ist politische Philosophin und feministisch unterwegs.

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